Entwicklung der Laufbewegung in Mecklenburg-Vorpommern

Laufbewegung in M-V bis 1975 ohne große Bedeutung
Den Beginn der Laufbewegung in Mecklenburg-Vorpommern bzw. in den drei Vorgängerbezirken Rostock, Schwerin und Neubrandenburg kann man auf die Zeit ab 1975 datieren. Vorher gab es bereits einen staatlich geförderten starken Leistungs- und Spitzensport in den Leistungssportclubs Rostock, Schwerin und Neubrandenburg auch im Langstreckenlauf. Daneben gab es einige junge wettkampf- und leistungsorientierte männliche Langstreckenläufer in den sonstigen Sportgemeinschaften, die sich ihre Startmöglichkeiten bei den wenigen für sie in der DDR oder im sozialistischen Ausland angebotenen Bahn-, Straßen- oder Geländeläufen suchen mussten. Der Breiten- bzw. Volkslaufsport war bis dahin fast bedeutungslos. Zwar gab es ab 1967 die „Lauf dich gesund“- Bewegung und ab 1973 die Meilenbewegung „Eile mit Meile“, wobei es gelang, größere Teile der Bevölkerung vor allem bei Betriebssportfesten und sogenannten „Sportfesten der Werktätigen“ an den Start zu bringen, aber das waren lediglich sporadische Laufwettbewerbe. Hier ging es meist nur über vergleichsweise kurze Laufstrecken bis 2 km, wobei die erreichten Laufzeiten untergeordnet waren. Die Freude am Laufen in der Gemeinschaft sollte entscheidend sein und entwickelt werden.

Beginn der Ära Rennsteiglauf als entscheidender Impuls für die Laufbewegung
Einen entscheidenden Impuls für die Laufbewegung, auch im heutigen Mecklenburg-Vorpommern, gab es Mitte der 1970er Jahre mit Beginn der Ära Rennsteiglauf in Thüringen. Der Rennsteiglauf als Laufevent außerhalb der damals vom DTSB gewollten und geförderten Sportbewegung faszinierte vor allem die jungen Menschen in und außerhalb der Sportvereine, obwohl der Lauf damals die für damalige Verhältnisse gewaltige Länge von 75 km auf schwierigem Terrain hatte, erst später kam der 45km-Lauf dazu, noch viel später der Halbmarathon. Die Teilnahme am Rennsteiglauf war für viele ein Traum. Dazu musste man allerdings hart trainieren, um dort gut abzuschneiden bzw. den Lauf zumindest gut zu überstehen.
In dieser Zeit wurden auch im heutigen Mecklenburg-Vorpommern viele Laufgruppen gegründet, in denen ein organisiertes Lauftraining gepflegt wurde. Die Laufgruppen integrierten sich grundsätzlich in bestehende Sportvereine und damit auch in das bestehende Sportsystem der DDR. Das hatte neben der Tatsache, dass man nur so an eine der begehrten Startkarten für den Rennsteiglauf herankam, auch den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass man so die Trainingsmöglichkeiten und vor allem die finanziellen Hilfen der Sportvereine, die in der DDR durch Betriebe und Verwaltungen erheblich gestützt wurden, in Anspruch nehmen konnte.
In allen damaligen Kreisen der drei Nordbezirke wurden in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre  Straßen-, Gelände- und Bahnläufe für Breitensportler organisiert, an denen vor allem die leistungsorientierten, in Sportvereinen organisierten jüngeren männlichen Läufer teilnahmen. In den 80er Jahren kamen dann mehr und mehr weibliche Teilnehmer dazu. Die Streckenlängen bei diesen lokalen Läufen betrugen meist zwischen 10 und 20 km. Sehr beliebt waren die Stundenläufe auf den damaligen Sportplatzaschenbahnen, die in großer Zahl organisiert wurden und die in erheblichem Umfang auch Laufanfänger anzogen.
In Verbindung mit den damaligen Bezirksfachausschüssen (BFA) für Leichtathletik wurden ab 1978 in allen drei Bezirken des heutigen Mecklenburg-Vorpommern die sogenannten Ranglistenlaufe als Vorläufer des heutigen LVMV-Laufcups durchgeführt, an denen die in Leichtathletikvereinen bzw. Laufgruppen organisierten aktiven Läufer um Wertungspunkte in allen Altersklassen der Erwachsenen kämpfen konnten. Die zu absolvierenden Streckenlängen lagen allgemein zwischen 10 km und Marathon. Jeder Bezirk bemühte sich um eigene Laufhöhepunkte. Im Bezirk Rostock waren das zunächst die Städteläufe mit Hunderten von Teilnehmern, in Schwerin kam etwas später der Fünf-Seenlauf dazu, dessen Starterzahl gleich die Tausendergrenze überschritt.

Starke Entwicklung der Laufbewegung in den 1980er Jahren.
In den 1980er Jahren wuchs das Laufangebot beträchtlich. Dabei handelte es sich zum großen Teil um kombinierte Straßen-und Volksläufe im Sinne der heutigen Definition mit exakt vermessenen, bestenlistenreifen Strecken. Das erreichte Leistungsniveau bei den Breitensportlern stieg ständig an, sowohl in der Breite als auch in der Spitze, was zunächst vor allem auf die jüngeren männlichen Läufer, ab Mitte der 80er Jahre dann auch auf die mittleren männlichen Altersklassen M40 und M45 und die jüngeren Altersklassen der Frauen zutraf. Noch heute kann man an den ewigen Bestenlisten im Straßenlauf und an den registrierten AK-Bestleistungen für Mecklenburg Vorpommern ablesen, dass in dieser Zeit bis Anfang der 90er Jahre speziell in diesen Altersklassen nicht nur im Spitzen- sondern auch im Breitensportbereich ein hohes Leistungsniveau erreicht wurde. Der Anteil der noch älteren Senioren und Seniorinnen blieb zunächst bescheiden.

Schwierige Umstrukturierung nach der deutschen Wiedervereinigung

Zu Beginn der 1990er Jahre nutzten viele wettkampforientierte Breitensportläufer in Mecklenburg-Vorpommern zunächst die neu gewonnene Reisefreiheit zu Starts in den alten Bundesländern sowie im westlichen Ausland. Das Laufgeschehen im eigenen neu gegründeten Bundesland geriet etwas ins Hintertreffen. Zudem kam es in den bisherigen Sportvereinen zu erheblichen Umstrukturierungen. Die bisher automatisch zufließenden erheblichen finanziellen Mittel der Großbetriebe und staatlichen Einrichtungen flossen nicht mehr, jeder Verein musste ums Überleben kämpfen. Die Mitgliedsbeiträge wurden meist drastisch erhöht.  Es ging auf Sponsorensuche, was im ärmsten deutschen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern nicht einfach war. Eine Reihe von Vereinen schaffte den Überlebenskampf nicht; auch einige Laufgruppen und mit ihnen einige von diesen Laufgruppen organisierte Laufveranstaltungen verschwanden. Dafür entstanden ungefähr ab Mitte der 90er Jahre neue Laufgruppen und mit ihnen auch nach und nach viele neue Läufe, so dass man heute auch im kleinen bevölkerungsarmen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern fast an jedem Wochenende mehrere Läufe zur Auswahl hat.

Laufcup als gut genutztes Angebot für leistungsorientierte Läufer/innen
Für die leistungsorientierten Läufer/innen wurde bereits 1991 unter der Regie des neuen Leichtathletikverbandes LVMV der Laufcup M-V für alle Altersklassen der Erwachsenen und der jugendlichen Altersklassen U18/20 (männlich und weiblich) installiert, der die bisherigen Ranglistenläufe der drei Vorgängerbezirke nun für das gesamte Bundesland vereinheitlichte. Ab 2013 konnten auch die Jugendlichen der AK U16 daran teilnehmen. 2015 kam der Nachwuchslaufcup für die noch jüngeren AK U10, U12 und U14 hinzu. Beide Laufcups haben sich bis heute sehr gut entwickelt, wenn man von den erheblichen Beeinträchtigungen durch die Coronapandemie in den Jahren 2020 bis 2022 absieht. Die meisten leistungsorientierten Läufer/innen des Landes, die dem LVMV angehören und ein Startrecht des Verbandes haben, nehmen am Laufcup teil.

Wesentlicher Ausbau des Laufangebots ab den 1990er Jahren
Für die sonstigen Breitensport- bzw. Volksläufer wurden in den 90er Jahren neben vielen kleinen lokalen Läufen und bereits bestehenden Großveranstaltungen wie dem Schweriner Fünf-Seen-Lauf und dem Usedom-Marathon einige neue Laufevents installiert, wie z.B. der Tollensesee-Marathon in Neubrandenburg, der Rostocker Citylauf, die Rostocker Marathonnacht, der Rostocker City-Sport-Abendlauf, der Darßmarathon, der Rügenbrückenlauf, der Kap Arkona-Lauf auf Rügen sowie der Ostsee-Staffelmarathon auf dem Fischland. Alle diese Laufveranstaltungen bestehen heute noch und konnten bisher in allen Jahren bzw. zumindest zeitweise mindestens tausend Breitensportläufer/innen oder noch wesentlich mehr als Teilnehmer begrüßen.
Relativ neu sind auch in M-V die großen Firmenläufe, an denen neben ambitionierten Läuferinnen und Läufern vor allem viele Laufanfänger teilnehmen, die sich zum Teil auch mit mehreren Trainingseinheiten vorbereiten und damit die Laufbewegung bereichern. Diese Firmenläufe gibt es inzwischen in allen größeren Städten des Landes wie Rostock, Schwerin, Wismar, Güstrow, Greifswald und Stralsund. Es sind Staffelläufe für Firmen, Institutionen, Behörden und Vereinen, wobei jeweils mehrere Staffeln gestellt werden können. Jede Staffel hat 3 bis 4 Läufer/innen, die jeweils eine Teilstrecke von 2 bis 4 km zu absolvieren haben.
Der älteste und größte Firmenlauf ist der Rostocker Firmenlauf, der in diesem Jahr 2022 mit insgesamt 2800 teilnehmenden Läuferinnen und Läufern bereits zum 13. Mal ausgetragen wurde.

Gegenwärtige Strukturen des Lauf-Breitensports in M-V

Mehr als in den anderen Bundesländern sind die weitaus meisten Breitensportläufer/innen in Mecklenburg-Vorpommern nach wie vor in Vereinen bzw. Laufgruppen organisiert, die fast alle auch dem Leichtathletikverband M-V angeschlossen sind. Für die leistungsorientierten Läuferinnen und Läufer des Landes sind die vom LVMV veranstalteten Wettkämpfe im Laufcup mit integrierten Landesmeisterschaften im 10 km-Straßenlauf, Halbmarathon- und Marathonlauf sowie im langen Bahnlauf und Crosslauf die wichtigsten Laufveranstaltungen.
Es ist erfreulich, dass sich immer mehr Frauen aller Altersklassen und in letzter Zeit auch viele Kinder und Jugendliche an den Laufwettbewerben und am Laufcup beteiligen. Es zeigt sich, dass überall dort, wo sich engagierte ehrenamtliche Übungsleiter um den Nachwuchs bemühen und ein interessantes freudvolles Training anbieten, wie z.B. im kleinen Ort Laage bei Rostock, auch bei jungen Leuten die Begeisterung für das Laufen geweckt werden kann. Das sollte uns auch optimistisch für die Zukunft machen.
Bemerkenswert ist, dass dennoch der Anteil der älteren Läufer/innen bei unseren Laufveranstaltungen seit Beginn der 90-er Jahre ständig zunimmt. Bei den Teilnehmern am Laufcup M-V ist dies besonders ausgeprägt. 2022 beträgt hier der Anteil der AK M40 und älter  ca. 80% der männlichen Erwachsenen; bei den AK M50 und älter sind es noch über 50%.
Der Anteil der AK W40 und älter beläuft sich auf ca. 75 % der weiblichen Erwachsenen, bei den AK W50 und älter sind es immerhin noch mehr als 40%. Wünschenswert wäre es, wenn speziell der Anteil der jüngeren AK M/WU20 bis M/W35 weiter gesteigert werden kann. Die Beteiligung der weiblichen Läuferinnen an unseren Laufwettbewerben ist seit den 80er Jahren kontinuierlich angestiegen. Beim Laufcup M-V beträgt der Anteil der Läuferinnen zur Zeit ca. 40 %. Ähnlich ist es auch bei den übrigen Laufwettbewerben. Bei unserem Nachwuchslaufcup ist das Verhältnis zwischen Mädchen und Jungen bereits ungefähr ausgeglichen.

Leistungsniveau im Langstreckenlauf im Bereich des LVMV
Nach subjektiver Einschätzung kann man zur Meinung gelangen, dass das Leistungsniveau bei unseren Breitensport-bzw. Volksläufen gegenüber den 1980er Jahren wesentlich gesunken ist.
Das trifft zweifellos zu, wenn man die mittleren Laufzeiten der Teilnehmerfelder betrachtet.
Hier ist aber zu berücksichtigen, dass die Teilnehmerfelder meistens erheblich größer und älter sind als damals. Es sind eben nicht nur die leistungsorientierten jüngeren Läufer wie damals dabei, sondern es trauen sich auch viele Anfänger und vor allem ältere Senioren und Seniorinnen, auf die Laufstrecke, die mit ihren Laufzeiten früher einen Start nicht gewagt hätten. Jetzt können sie sich auch noch mit relativ mäßigen Laufzeiten im großen Teilnehmerfeld behaupten und das ist auch im Sinne der Laufbewegung.
Dass das Leistungsniveau bei unseren leistungsstärksten Breitensportläufern nach wie vor hoch bzw. sogar noch höher ist als früher, kann man auch aus der aktuellen Liste der LVMV-Landesbestleistungen im Langstreckenlauf erkennen. Bei den Frauen ab der AK W30 wurden alle dort aufgeführten Rekorde und AK-Bestleistungen nach 1990 erzielt, die meisten davon sogar in den letzten Jahren ab 2015. Bei den Männern ab der AK M30 gibt es nur noch wenige Landesbestleistungen aus Zeiten vor 1990; ab der AK M60 wurden alle Landesbestleistungen nach 1990 erzielt, etliche davon in den letzten Jahren ab 2015.
Dass die meisten Rekorde und AK-Bestleistungen bei den Jugendlichen und den AK M20 und W20 noch aus DDR-Zeiten oder aus Zeiten kurz nach der Wiedervereinigung stammen, liegt daran, dass sie fast ausnahmslos von Läuferinnen und Läufern erzielt wurden, die damals in den drei großen Leistungssportclubs des Landes unter profiähnlichen Bedingungen leben und trainieren konnten. Diese guten Bedingungen gibt es heute in M-V, zumindest für den Laufbereich, nicht mehr. Eine Verbesserung dieser Leistungen ist nur realistisch, wenn sich die Förderbedingungen für den Leistungs- bzw. Hochleistungssport im LVMV auch im Bereich Langstreckenlauf wesentlich, gegenüber den heutigen Verhältnissen, verbessern.

Herbert Stromeyer / Andre Stache

November 2022

Die Fotos:

  1. Laufgruppe des SC Laage im Jahr 2021
  2. Citylauf in Rostock
  3. der fast 70-jährige Klaus Dieter Mauck beim City Lauf in Rostock

Fotograf: Ralf Sawacki